Wenn die Wettkampfverpflegung zu einem großen Teil aus frischem Wasser aus glasklaren Bächen besteht, dann befindet man sich wohl gerade mitten in einem Skyrace. Ich hatte etwas ganz Anderes erwartet und doch war es eine der schönsten Erfahrungen meines Wettkampfjahres. Warum nach dem Zieleinlauf auch manchmal ein Tee anstatt einer Medaille völlig ausreicht, erzähle ich euch im zweiten Teil meines Wettkampfberichtes zum Skyrace in Tromsø.
04.08.2018 – RACEDAY
Ich stehe früh auf – nicht weil ich super gut geschlafen habe, ich bin einfach aufgeregt. Und ich habe tatsächlich ein wenig Muskelkater in den Oberschenkeln. Es ist zwar nur ein leichtes Zwicken, aber am Rennmorgen kann einen sowas schon mal verrückt machen.
Das Zwicken in den Oberschenkeln kommt jedenfalls von meinem halben Aufstieg auf den Blamann, um Fotos von einem anderen Rennen zu machen. 600 Höhenmeter Als Zuschauer am Vortag. Das war ja mal echt schlau. Nun bin ich hier in Norwegen und habe nichts besseres zu tun, als die goldene Regel des Wettkampfwochenendes zu brechen, die da lautet: Ausruhen und keinen Quatsch machen. Ich hab mich weder ausgeruht, noch hab ich darauf verzichtet Quatsch zu machen :D. Ich habe die goldene Regel nicht nur gebrochen, ich habe Sie quasi genommen, ihr einen lustigen Hut aufgesetzt und ihr „ich bin doof“ auf die Stirn geschrieben, während sie geschlafen hat. Und dann hab ich die Bilder gepostet. Sorry, goldene Regel.
Aber manchmal geht es eben nicht anders. Manchmal muss man alles das tun, worauf man gerade Lust hat. Wäre ich nach dem Rennen nach Hause geflogen, ohne mit zum Blamann zu fahren und dort hoch zu klettern, hätte ich definitiv etwas verpasst. Und das wollte ich nicht. Ich wollte alles mitnehmen was ging. Also muss ich nun auch mit dem Zwicken leben :D.
Nachdem ich eben kurz gefrühstückt habe – es gab Porridge, meine Lieblingsgrundlage für ein Rennen, stehe ich nun im Hotelzimmer und mache mich „rennbereit“. Es gibt gewisse Regeln bei einem Skyrace und unter anderem auch Vorschriften bei der Wahl der Kleidung. Eine dünne langärmelige Laufjacke, Handschuhe, eine Trinkflasche und eine Stirnlampe sind Pflicht. Die Jacke und die Handschuhe dienen a) dazu, dass man nicht direkt erfriert, falls man sich verläuft und b) damit man sich auf den letzten Metern zum Gipfel nicht verletzt. Denn da läuft man meist über Blockwerk mit teilweise scharfen Kanten und man benötigt auch mal seine Hände um nicht auszurutschen. Die Stirnlampe muss man mitnehmen, falls man mal etwas länger braucht :).
Ich trage ein kurzes Laufshirt, eine kurze Laufhose, Laufsocken, Laufschuhe, (allerdings hoch profilierte Cross-Schuhe, versucht man diese Rennen mit normalen meist unprofilierten Laufschuhen zu laufen, scheitert man spätestens an den vielen Stürzen die man auf dem Weg verkraften muss), eine Laufuhr und ein Stirnband. Und mein wichtigster Begleiter ist neben der Angst (Spaß) ein kleiner Laufrucksack in dem ich eine Jacke, Handschuhe, 2 Soft Trinkflaschen, ein paar Gels und mein Handy untergebracht habe. Ich checke nochmal alles und bin bereit. Jedenfalls so bereit man eben sein kann, mit Muskelkater und ohne den blassesten Schimmer, was da noch so alles auf mich wartet. Ich fühle mich wie ein Skyrunner und denke kurz darüber nach, ob es den Rittern im Mittelalter wohl auch so ging. Wenn man die Ritterrüstung mal angezogen hat, ja, dann war man eben ein Ritter! Und wenn man zwischendurch mal für kleine Minnesänger musste, ja, dann war das damals bestimmt nochmal unangenehmer…ich schweife ab.
Ich fühle mich wie James Bond und verlasse das Hotel durch den Vordereingang, auf dem Weg zu meinem Abenteuer. Der Startbereich befindet sich nur wenige hundert Meter von meinem Hotel entfernt und da sind schon einige Läufer versammelt. Geht man von großen Triathlon Veranstaltungen aus, ist das heute eine eher kleine „Laufgruppe“. Knapp 400 Starterinnen und Starter machen sich heute auf den Weg zum Gipfel des Tromsdalstinden und wieder zurück.
Ich kontrolliere nochmal alle meine Sachen und reihe mich eher hinten ins Starterfeld ein. Die letzten Minuten vor dem Start vergehen wie im Flug und BOOM, es geht los. Die ersten 4 Kilometer des Rennens, kenne ich von meiner ersten Laufeinheit am Tag meiner Ankunft. Ich komme schnell in einen guten Rhythmus und auch das Zwicken in den Oberschenkeln stört mich nicht mehr.
Und dann gehts los!
Ab Laufkilometer 5 wird die Strecke anspruchsvoller, wir klettern und laufen gemeinsam in Richtung des ersten Gipfels des Bontuva auf 750m Höhe. Die Steigung liegt mir gut und ich kann viele Läufer auf den steilen Streckenabschnitten überholen. Ich habe echt Spaß und geniesse es in vollen Zügen. Auf dem Weg zum Gipfel befindet sich eine Gondelstation und dementsprechend stehen hier auch viele Zuschauer, die uns mit Glocken und lauten Rufen anfeuern. Von verwurzeltem Waldboden über Gras bis hin zu steinigeren Trails ist hier schon alles dabei. Es ist sehr neblig heute und daher habe ich meist nur eine Ahnung wie hoch wir jetzt schon gelaufen sind. Nach der Gondelstation werden die Zuschauer weniger und auch das Starterfeld beginnt sich zu entzerren. Nach knapp 7,5Km erreiche ich den Gipfel des Bontuva und habe ein paar kleine Tränen in den Augen. Nicht weil der Nebel mir die Sicht versperrt (vielleicht ein bisschen), eher weil es zwar ein kleiner, aber trotzdem der aller aller erste Gipfel meines Lebens ist. Ich kann den Aufstieg zum Trosdalstinden kaum erwarten.
Ab und an verzieht sich der Nebel nun etwas und man sieht bis zu den Fjorden im Tal. Absolut wunderschön und unwirklich blickt man herab auf Tromsø und auf die Pfade, die man schon zurückgelegt hat. Plötzlich kommt mir eine Wanderin mit einem Hund entgegen und grüßt freundlich, während ich schon ganz schön nass geschwitzt vor mich hin laufe. Wie es wohl wäre hier zu wohnen, denke ich mir. Nicht gerade auf dem Berg, dafür mag ich Netflix und W-Lan auch zu gerne, aber in Tomsø generell. Jeden Tag die schönste Natur direkt vor der Haustür…unendliche Trainingsmöglichkeiten etc. Aber dagegen spricht der lange, dunkle und sehr kalte Winter. Ich mag die Sonne und Tageslicht und der Winter passt mir ja so garnicht :D. Also verwerfe ich den Gedanken ziemlich schnell und laufe weiter. Es geht über grüne moosbewachsene Wiesen und Pfade immer höher Richtung Tromsdalstinden. Die Steigung variiert von steil bis sehr steil, aber ich fühle mich immer noch super. Ich habe nach knapp 12 Km schon eine Wasserflasche ausgetrunken und ein Gel genommen.
Und jetzt wird es ernst. Ich ziehe meine Handschuhe an, denn innerhalb der nächsten 3 Km steigt der Trail von 780m auf 1229m Höhe an. Das bedeutet grob übersetzt: es wird Steil!!! Und alles was ich mir vorher gedanklich an Streckenprofilen zurecht gelegt hatte, war schlicht und ergreifend falsch :D. Ich befinde mich plötzlich mitten in einem riesigen Steinfeld auf dem Kamm in Richtung Gipfel. Umgeben von Nebel, Nieselregen und sich langsam ausbreitender Kälte, bahne ich mir meinen Weg durch das Blockwerk. Es ist für mich sehr anspruchsvolles Terrain und ich bin hochkonzentriert. Ein falscher Schritt und man hat sich leicht den Knöchel verknackst oder schlimmer… Ich gehe ein Stück nach Rechts, und sehe durch den Nebel, der sich durch Windböen ab und an etwas auflöst, dass es an Teilstücken einfach mindestens 400m steil bergab geht. Da ist einfach Nichts. Kein doppelter Boden, keine Zuschauer, nur andere Läufer, genauso hoch konzentriert. Der Laufweg ist durch bunte Fähnchen und gelbe Steine, die einige Tage vorher von Kilian Jornet und seiner Crew aufgestellt bzw. angesprüht wurden, sehr gut markiert.
Auf diesem Abschnitt frage ich mich schon ab und zu, warum in der Anmeldung stand: „Eine gute Einführung in das Skyrunning“. Wenn das die Einführung ist, dann brauche ich für eins der „richtigen“ Rennen keine Wasserflasche, sondern wohl eher direkt einen Schnaps. An diesem Tag findet auch das Hamperokken Skyrace statt, teilweise auf der selben Strecke, aber weitaus mehr Höhenmeter (über 3500) und insgesamt 53Km.
Der Abschnitt vergeht aufgrund der hohen Konzentration super schnell und plötzlich bin ich da. Auf dem Gipfel des Tromsdalstinden. Ich bleibe kurz stehen, und berühre den Steinkreis, der auch mit vielen Gebetsflaggen verziert ist. Ein Wahnsinnsmoment. Es ist dunkel, kalt, nass und wie auf dem Mond, aber ich liebe es :D. Ich ziehe meinen Rucksack aus und ziehe meine Jacke an. Ein Glück war es Pflicht diese Jacke mit zu nehmen, denke ich und mache mich an den Abstieg. Aber auch der hat es echt in sich…
Ich freue mich auf den Abstieg, downhill laufen kann ich normalerweise ziemlich gut. Es macht mir einfach Spaß, es auch mal „rollen“ zu lassen. Aber rollen lassen war erstmal nicht drin. Eigentlich ab diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr :D. Es geht nun 5Km fast nur bergab. Aber nicht nur ein wenig, teilweise mit einem solchen Gefälle, dass ich mich nicht traue einfach aufrecht abzusteigen, geschweige denn zu laufen. Aber ich beobachte die anderen Starter und viele von Ihnen stützen sich mit den Händen und gehen auch auf Nummer sicher. Würde ich mich nach vorne lehnen und stolpern, kullere ich wohl einfach 5 Km nach nach unten. Zu einem Ball geformt, würde ich dann unterwegs noch die ein oder anderen Athleten von den Beinen holen und mir bestimmt ganz viele neue Freunde machen. Nee nee, dann echt lieber etwas rausnehmen und auch verdammt noch mal diesen Ausblick geniessen. Denn der war einfach unglaublich. Der Nebel hat sich mittlerweile verzogen und ich blicke in ein grasgrünes Tal, durchzogen von Bächen und kleinen Wasserfällen. Einfach eine unglaubliche Kulisse. Ein Foto mache ich hier aber lieber nicht…“denk immer an den Ball, konzentrier dich, du schaffst das“.
Und wie vorprogrammiert melden sich nun…na, wer wohl…die Oberschenkel. Ihr habt mir nun echt noch gefehlt. Wie eine Infektion, kommt der Muskelkater zu früh und gerade echt unpassend zurück, um mich die restlichen Laufkilometer zu begleiten. Danke Muskelkater, danke für alles :D.
Ich bin nun im Tal angekommen und schaue ungläubig nach oben zum Gipfel, von dem ich gerade abgestiegen bin. Verrückt!!! Und schon gehts mir etwas besser. Ich hab es einfach gemacht, habe etwas dabei gelernt und meine Grenzen nun wieder ein Stück nach hinten verschoben. Ich hab eine neue Erinnerung geschaffen und kann jetzt und hier diese Geschichte erzählen. Und das ist es, was für mich zählt.
Ich fülle meine beiden Flaschen in einem Bach auf und mache mich auf die letzten 13 Km des Laufes. Hier warten zwar nochmal insgesamt 400 Höhenmeter auf mich, aber der Trail ist nun nicht mehr so wahnsinnig anspruchsvoll. Das Laufen fällt mir nicht so leicht wie sonst, nach dieser Distanz, aber es lässt sich aushalten. Ich staune über die Schönheit der puren Natur, die ich in dieser Art bisher noch nie wirklich gesehen habe. Natürlich laufe ich viel durch Wälder und erkunde neue Wege, aber das hier ist eine andere Hausnummer. Genau so hatte ich es mir vorgestellt.
Auf den letzten Kilometern passiere ich nochmal die Gondelstation und frage mich, ob ich wohl vor ein paar Stunden einfach in eine Gondel gesprungen wäre, hätte ich gewusst was mich in den nächsten Stunden erwarten würde. Aber die Antwort lautet klar: Nein.
Ich sehe den Zielbogen, laufe darunter hindurch und bin überglücklich. Es gibt hier keine Finisher Shirts oder Medaillen. Stattdessen bekomme ich einen warmen Tee und denke: „Alles passt zusammen“. Der Wunsch nach einem neuen Abenteuer, der Wunsch nach unberührter ehrlicher Natur, der Wunsch nach einer Herausforderung, der Wunsch nach einer neuen Geschichte. Dieser Ort, der schon immer eine magische Ausstrahlung auf mich hatte und hat. Und dieser Tee. Alles passt zusammen.
Nachdem ich im Hotel geduscht habe, rufe ich Anastasia an und erzähle Ihr von all meinen Erlebnissen. Dann gehe ich nochmal zum Zielbereich und feuere die noch kommenden Läuferinnen und Läufer an. Und das tun alle gemeinsam, bis zum letzten Läufer. Wie im Triathlon, denke ich. Alle hatten unterschiedliche Erlebnisse und Ergebnisse auf derselben Strecke. Und doch schaffen diese Abenteuer eine wahnsinnige Bindung zwischen allen Athleten.
Meine Zielzeit beträgt 4:44:01h ich hatte einen Schnitt von 8:53/Km, habe 32 Kilometer zurück gelegt und insgesamt 2053 Höhenmeter gesammelt.Es war einer der schönsten Läufe, die ich jemals erlebt habe. Bis jetzt!
Ob ich nochmal wiederkommen werde? Darauf antworte ich mit einem rieeesigen JA!
Es gibt ja schließlich noch die 53 Km lange Version des Laufes :D.
Aber zuerst habe ich nun ein anderes Ziel: den Ironman Süd Afrika.