Sand zwischen den Zehen. Vor gefühlten 5 Minuten lag ich doch noch im Bett und konnte nicht fassen, dass der Wecker tatsächlich 03:30 Uhr anzeigt?! Jetzt stehe ich hier unten am Strand, an der Startlinie meiner ersten Langdistanz in der neuen Saison. Wie ist das möglich, wo sind die vergangenen 3 Stunden geblieben? Das ganze Gewusel in der Wechselzone dauert super lange, wirkt aber eher wie ein Wimpernschlag.
Um wirklich ernsthaft darüber nachzudenken fehlt mir jetzt allerdings die Zeit. Noch 15 Minuten bis zum Start. Sitzt der Neo? Brille? Badekappe? Check.
07.04.2019 – Nelson Mandela Bay, 06:30 Uhr
BOOOM! 06.35 Uhr, die Profis rennen ins Meer und machen sich auf die 1.6 km lange Strecke im Indischen Ozean. Die Schwimmstrecke wurde aufgrund der wirklich harten Bedingungen von den üblichen 3.8 km auf 1.6 km verkürzt.
Der Wellengang ist enorm, so wie die letzten Tage – nicht umsonst trägt der Austragungsort Port Elizabeth den Spitznamen „Windy City“. Die Pro‘s haben schon ein gutes Stück zurückgelegt, als die Kanone mit einem lauten Knall den Rolling Start für uns Agegrouper freigibt. Körperlich fühle ich mich super, also habe ich mich recht weit vorne eingereiht. Ich will schnell schwimmen, schnell Rad fahren und schnell laufen. Ich will die Qualifikation für die Ironman Weltmeisterschaften auf Hawaii, dafür habe ich die letzten 7 Monate trainiert.
3…2…1 -> LOS
Ich stürze mich mit anderen Athleten in die Wellen. Das muss von Außen wohl aussehen, wie der Angriff der Zombie Piraten in Fluch der Karibik 4. Ein bisschen gefährlich aber hauptsächlich lustig. Von Außen…
Ich halte mich rechts, das war von Anfang an mein Plan. Hier kann ich gut meinen Rhythmus finden und die Gefahr von Schlägen und Tritten ist sehr gering. So zumindest die Theorie. Meinen Rhythmus finde ich anfangs nicht, ganz zu schweigen von der ersten Boje, die ich nach 300m links neben mir lassen soll, um weiter auf Kurs zu bleiben. Ich schaukele so vor mich hin und finde dann auch irgendwann die Boje. Meinen Rhythmus finde ich trotzdem nicht und frage mich die ganze Zeit, was da los ist. Nach ca. 900m schlucke ich zum ersten Mal eine ordentliche Portion Salzwasser. Lecker Süppchen, garniert mit den Abgasen der Boote die um uns herumschwirren. Das bekommt mir garnicht gut und ein paar Sekunden später verteile ich mein Frühstück (und bestimmt auch 1-2 Gels) im Meer.
Wenn einer der Fische so ein bisschen Gel schluckt, dann schwimmt er wahrscheinlich innerhalb von 2 Stunden nach Australien. Direktverbindung quasi. Da war nämlich Koffein drin. War…Ich bringe die 1.6 km, die sich am Ende als 2,2 km entpuppen, mehr schlecht als recht hinter mich, schlucke noch 2mal Salzwasser und komme nach 36 Minuten in die erste Wechselzone. 36 Minuten sind nicht ansatzweise das, was ich mir vorgenommen hatte. Aber auch darüber kann ich nicht lange nachdenken, ich muss kurz abbiegen und den Rest des verbleibenden Frühstücks los werden.
Schwimmausstieg beim Ironman Süd Afrika
Meine Wechselzeit beträgt 3:35min. , was eigentlich nicht schlecht ist, wenn man meinen kurzen Aufenthalt in Dixie-Hausen bedenkt.
Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich meine Schuhe, schon auf dem Rad sitzend und fahrend, richtig fest geschlossen habe und dann gehts los. 180 km. Jetzt wird reingehauen. Das Schwimmen ist vergessen…das Wasser schlucken aber irgendwie noch nicht soooo. Egal. Der Radkurs setzt sich aus 2 Runden á 90 Kilometern zusammen und hat insgesamt 1.600 Höhenmeter. Der „Asphalt“ rüttelt einen zwar die gesamte Strecke ganz schön durch, Schlaglöcher gibt es dafür aber keine. Mein absolutes Highlight: Affen an der Radstrecke. So richtige, echte Affen laufen einfach neben der Radstrecke in freier Natur herum und sehen immer süß und unschuldig aus. (Auch wenn sie wohl gerne meinen Helm oder meine Flasche klauen würden)
Nach den ersten 40km verliere ich durch eine Bodenwelle meine Radflasche, die ich mit meiner Verpflegung (für 3h) angemischt hatte. Als hätte Asterix der Flasche einen Kinnhaken verpasst, fliegt das Ding erst hoch in die Luft und landet dann auf der Straße. Die spinnen, die Römer.
Wenn die Affen das Zeug trinken dann……..ach, werden sie schon nicht. Ich habe immer noch meine Gel Flasche also alles gut. Die erste Runde verläuft planmäßig, ich überpace nicht und fahre bedacht. Ich will danach einen (für meine Verhältnisse) richtig schnellen Marathon laufen, das ist meine Stärke, deswegen will ich mich hier lieber etwas zurücknehmen.
Auch der angesagte starke Wind (35km/h mit Sturmböen von bis zu 65km/h) ist noch nicht so wirklich zu spüren. Aber dann kommt das unumgängliche: Die fiese zweite Runde. Nach 110km merke ich einen starken Schmerz, ziemlich weit oben an der Innenseite meines rechten Oberschenkels.
Ein Krampf fühlt sich anders an – und ein Krampf ist auch nicht schwarz/gelb gestreift und sticht einfach mal fröhlich in den Schenkel als wäre es ein Hobby und keine Verteidigung. Ich schnippe die Wespe weg und frage mich, was das denn nun sollte. Die Wespe hätte doch locker einfach weiterfliegen können. Aber nicht diese Wespe…dieses sadistische! Der erhoffte Adrenalinstoß bleibt aus und es tut einfach nur höllisch weh. Immer wieder muss ich die Stelle mit Wasser kühlen und komme ständig aus meinem Tritt.
Die letzten 40 km ist dann auch der versprochene starke Wind da und die Böen haben es auch endlich zur Veranstaltung geschafft. Es wird immer härter und ich verliere langsam aber sicher meine Kraft und Zeit – vieeeeel Zeit. Von der geplanten Radzeit von 5:20:00 bleibt nichts übrig. Nach 06:00h komme ich abgekämpft und nicht besonders gut gelaunt in die zweite Wechselzone.
Jetzt wird gelaufen. Das kann ich. Das liebe ich. Endlich. Ich kann noch alles rausholen…oder eben auch nicht. Ich steige vom Rad ab und meine Beine tun höllisch weh, anders als sonst. Normalerweise fühlen sich die ersten Meter vom Rad zum Wechselbeutel einfach nur komisch an. Aber eben nicht so. Also wackele ich mit meinem Beutel weiter und setze mich auf einen der Plastikstühle um Laufsocken, Schuhe, Stirnband, Brille etc. anzuziehen.
Und dann…bleibe ich sitzen. Ich merke, dass mir die Dinge die an diesem Tag bereits schief gelaufen sind, nicht nur körperlich sondern auch mental zugesetzt haben. Hawaii-Qualifikation: abgehakt – oder eher gestrichen.
Ich verbringe geschlagene 13 Minuten in der zweiten Wechselzone und während mich die Helfer ca. 1000 Mal fragen ob ich Hilfe benötige, schüttele ich nur mit dem Kopf und sage nichts. Ich überlege zum ersten Mal, seit ich mit Triathlon angefangen habe, ob ich das Rennen heute zu Ende bringen kann. Option A: sitzen bleiben, ‘ne Cola trinken, abhaken. Option B: aufstehen und es zumindest versuchen. Also dann doch lieber B. Cola kann ich ja auch unterwegs trinken.
Ich verlasse die Wechselzone und trabe langsam los. Und siehe da, es klappt ganz gut. Ich laufe!! Zwar etwas wackelig und auch irgendwie etwas benommen, aber ich laufe. Nach 16 Kilometern bekomme ich plötzlich Krämpfe in meiner Bauchmuskulatur…..das ist neu, das kannte ich bisher auch noch nicht. So viele Premieren an einem Tag, hätte mir das jemand vorher gesagt, hätte ich eine Rede vorbereitet… Von nun an ist gehen angesagt. Kopf runter und Schritt für Schritt in Richtung Ziel.
Die Zuschauermassen schreien mich immer wieder an: „Daniel, let´s go“. Ja OK, let´s go!! Ich versuche immer wieder los zu laufen und schaffe es auch ein paar mal. Aber leider nicht für lange. Als ich in die letzte Runde starte und die Sonne langsam unter geht, habe ich ein paar Tränen in den Augen. Auch wenn ich‘s (für mich) völlig versaut hab – Keine Hawaii-Qualifikation, keine neue Bestzeit, ja nicht mal ein Daylight-Finish, so freue ich mich doch es durchgezogen zu haben (ja, und natürlich auch ein wenig, dass es bald endlich vorbei ist :D). Nur noch ein paar Kilometer und ich komme ins Ziel.
Ich komme AN!
Das hätte ich ehrlicherweise schon heute morgen, nach dem Fischfutter-Faux-Pas, nicht so richtig geglaubt. Und da ist er endlich, der Teppich mit dem Ironman Logo. Der Sprecher sagt mit amerikanischen Akzent: Daniel aus Deutschland, gute Arbeit, YOU ARE AN IRONMAAAAAN.
„Aaaaaaaand I‘m totally f****d“ – würde ich am liebsten noch dazu rufen, aber das lasse ich bleiben.Ich habs geschafft.
Etwas unterkühlt bekomme ich eine Wärmedecke, meine Medaille, das Finisher Shirt und…das wars. Eine Mischung aus Enttäuschung, Freude, Müdigkeit und Schmerzen macht sich breit, während ich ins Zelt mit der Zielverpflegung stolpere. Kurz darauf schnappe ich mein Rad und verziehe mich ins Hotel. Mir ist nach nichtsmehr, ich brauche Ruhe…und ein Bier. Ich telefoniere mit meiner Freundin Anastasia und berichte, was alles schief gelaufen ist – das dauert :). Geschafft!!
Schon am nächsten Tag, fühle ich mich viel besser. Ausser einem wirklich sehr leichten Muskelkater und einem blauen Fleck am Oberschenkel von der wohl sadistischsten Wespe der Welt, gehts mir erstaunlich gut. Körperlich…die Enttäuschung ist natürlich ziemlich groß und wenn ich ehrlich bin, noch bis heute.
Ich quatsche mit den tollen Menschen, die ich auf der Reise kennengelernt habe über das Rennen und wir machen schon wieder die ersten Scherze. Wir lenken uns gegenseitig ab und sprechen über die Rennen die nun noch vor uns liegen. (An der Stelle noch mal viele Grüße an Angela, Robert und Johannes).
Jetzt weiß ich wie es sich anfühlt, wenn am Tag X einfach mal gar nichts läuft. Und auch damit kommt man zurecht. Ich habe an diesem Tag viel gelernt, über mich selbst und den Sport den ich so liebe. Auch das ist Triathlon. Und auch ein total versemmeltes Rennen ist am Ende für irgendetwas gut.
Für mich startet ab jetzt die #roadtoroth! Nach vorne immer, nach hinten nimmer :).
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In eigener Sache:
Muskelkater vergeht und selbst ein DNF (did not finish) ist absolut kein Problem. Man sollte den Sport nie – ja wirklich niemals zu bitter ernst nehmen. Am Ende ist es ein Hobby, dass man liebt und das Spaß machen soll. Seid nicht zu hart zu euch, das Training zahlt sich irgendwann schon aus. Es muss nicht immer die neue Bestzeit sein.
UND das Wichtigste im Triathlon, ist die grundsätzliche körperliche Fitness. Es gibt noch immer viele Athleten, die sich das Ziel „IRONMAN“ vornehmen und sich einfach rein auf Ihr Körpergefühl verlassen. So etwas kann sehr tragische Folgen haben. Also bitte: Wenn ihr jemanden kennt, der das große tolle Ziel hat, einen Triathlon (egal über welche Distanz) zu finishen: bittet diejenigen ein großes Blutbild, eine Sportärztliche Untersuchung und im besten Fall ein Herzultraschall anfertigen zu lassen. Das kann Leben retten. Leider gab es die traurige Nachricht, dass 2 Athleten am Wettkampfmorgen gestorben sind, nachdem sie während des Schwimmens schwere körperliche Anfälle (Herzinfarkt und Krämpfe) erlitten. Mein Beileid gilt den Angehörigen der beiden Athleten.
Helft solche tragischen Fälle zu vermeiden und sprecht darüber, wie wichtig es ist für diesen Sport (und natürlich auch für andere Sportarten) ist, fit zu sein. Nach Außen dringt immer nur die Nachricht: „2 Athleten bei Ironman gestorben.“ Viele nehmen dies zum Anlass um den Wettkampf und den Triathlon dafür verantwortlich zu machen.
Passt auf euch auf – und eben auch auf die Anderen 🙂 !