Boah! Was war denn da los? Eluid Kipchoge mit einem neuen Weltrekord über die Marathondistanz. 42.195 Kilometer in 2:01:39h. Bei besten Temperaturen und unfassbar vielen Supportern an der Strecke, gab es einen historischen Sieg des 33 Jährigen Kenianers.
Aber das war ja „nur“ die Krone dieser einzigartigen Laufveranstaltung. Warum es für mich nicht nur positives zu sagen gibt und warum ich eigentlich extrem skeptisch war, ob ein Start überhaupt Sinn macht? Hier gibts meinen Wettkampfbericht und ein paar Gedanken zum Berlin Marathon:
Freitag 14.09.2018 – erstmal Startunterlagen abholen:
Ich treffe mich mit einem guten Freund aus Köln direkt am Haupteingang, Flughafen Tempelhof, zur Abholung der Startunterlagen. Marc und ich wollen den Marathon zusammen laufen und planen dieses kleine Highlight schon seit über einem Jahr.
Krass, was da schon los ist. Die Ausgabe der Unterlagen ist schon einen Tag früher, also am Donnerstag, gestartet. Menschen…überall Menschen…keine Chance zu entkommen..bisschen wie Zombieland…oder Vergnügungspark :-D. Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns Sonntag erwartet.
Samstag wird nochmal mehr los sein, sagt die Frau am Einlass. Wir freuen uns kurz über die gute Entscheidung dem Monster-Stress am Samstag aus dem Weg zu gehen und stellen uns in einer der 1000 Schlangen an. Als erstes: die Schlange für die Bändchen. Nur wer eins hat, kommt Sonntag in Verbindung mit der Startnummer in den Startbereich. Easy, Bändchen geht schnell und auf gehts auf die Marathon Messe oder auch „Berlin Vital“. Wahnsinnig viele Aussteller und eine unbegrenzte Auswahl an Produkten rund ums Laufen erwarten uns direkt nach dem Eingang.
Interessiert uns alles nicht so wirklich, wir sind uns einig: Unterlagen schnappen und ab nach Haus. Wir kämpfen uns zur nächsten Schlange durch. Das geht auch alles super flott und wir haben unsere Startunterlagen. 2 Mädels sagen mit heiserer Stimme, dass sie uns nicht erklären können wie das alles läuft, weil sie schon den ganzen Tag am quatschen sind und nicht mehr können :D. Ist ja okay, wir wollen eh nach Haus.
Wir fragen uns kurz, warum wir keinen dieser durchsichtigen Beutel für unsere Sachen haben, die gefühlt alle anderen um uns herum bekommen…..achso..musste man bei der Anmeldung extra angeben und extra zahlen…brauchen wir eh nicht, alles gut, wir wollen sowieso nach Haus.
Die Goodie-Bag’s fallen leider auch recht dürftig aus: jede Menge Flyer der Kooperationsparter und Sponsoren, ein Gel-Chip (der Molke-Eiweiß enthält – also nix für Veganer…immerhin besser als eine Packung Beef Jerky – die hatte ich auch schon einmal in einem Startbeutel, ernsthaft..:D). Dann gab es noch Deo- & Duschgel-Proben und..einen Schwamm. Für einen der Six Major Marathons echt ein bissel dürftig, aber zum Glück gibt es nach dem Lauf ja noch einen Poncho :D.
– Zum Thema „World Marathon Majors“ und der „Six-Star Finisher Medaille“, werde ich in einem anderen Blog Eintrag etwas ausführlicher berichten. –
Wir könnten noch so ca. 1000 kostenlose Goodies einsammeln, aber wie eben schon erwähnt, ist uns die Schlange echt überall viel zu lang und wir wollen ja nach Haus. Also schlagen wir uns wieder bis zum Haupteingang durch, verabschieden uns und sind raus aus dem ganzen Getümmel. Jetzt: abschalten, erholen, freuen.
Samstag 15.09.2018 – der Tag vor dem Marathon.
Ich glaube das Wort, das diesen Tag bestens beschreibt, lautet: unspektakulär :).
Wir machen, was man als Starter eben einen Tag vor dem Rennen so macht: Essen, Netflix, Laufsachen checken und vorbereiten. Ich bin ganz froh, dass das auch so klappt.
Wenn ich mich da an die Challenge Roth dieses Jahr erinnere, muss ich immer daran denken, dass mein Schrittzähler am Ende des Tages VOR dem Wettkampf fast 30.000 Schritte angezeigt hat. Oder noch viel besser: Bei meinem SkyRace in Norwegen gab es einen Tag vor dem Hauptlauf (32Km mit 2500hm) einen „vertical kilometer“-Wettkampf, bei dem ich gerne Fotos machen wollte. Dass ich für einen guten Platz zum Fotos machen mal eben auf 600hm hochgeklettert bin, war…schön, aber doof :-D. Trotzdem muss man auch daraus keine Wissenschaft machen. Wenn man fit ist, kann man sowas ab. Und wenn es nicht um eine neue Bestzeit geht, will ich immer so viel von der Stimmung um den Wettkampf herum aufsaugen wie nur irgendwie möglich. Es gibt (fast) nichts schöneres als die Wettkampf-Atmosphäre. Exkurs Ende. Wir gehen recht früh ins Bett. Unsere Startgruppe H ist die letzte von 4 Wellen und startet um 10:05. Easy. An dieser Stelle sei noch kurz erwähnt: wer eine neue persönliche Bestzeit laufen mag, sollte auf KEINEN FALL in Block H starten. Es sei denn, es soll eine neue persönliche Bestzeit im Hindernislauf werden :).
Sonntag 16.09.2018 – Raceday
Aufstehen, Toilette, Matcha (!), essen (ich persönlich esse vor so einem Wettkampf am liebsten Porridge, vertrage ich einfach am Besten), duschen, anziehen, Toilette, los. Wir brauchen keine 30 Minuten bis zum Startbereich und verabschieden uns am Eingang von den Mädels.
Die werden jetzt erst mal schön ne Runde brunchen gehen, inkl. Sekt etc. – wie man sich in solchen Situationen einfach echt kurz wünscht, die Startnummer abzureißen und JA zu sagen: JA zum Sekt und zum Abhängen in der Sonne, NEIN zum Laufen von 42Km. Es könnte so schnell & einfach vorbei sein, man hat es schließlich selbst in der Hand. Der Sekt-Typ sitzt Dir auf der Schulter und versucht Dich langsam aber sich auf die dunkle Seite zu ziehen. Dann vergeht der Gedanke aber wieder so schnell wie er gekommen ist – der Lauf-Typ auf der anderen Schulter gewinnt eben doch immer. Wir sind gut vorbereitet, haben die Saison schon krassere Sachen gemacht und haben halt auch einfach richtig BOCK auf den Lauf. Und die Mädels haben sich den Sekt auch hart verdient. Sie sind einfach die besten Supporter der Welt, immer voll am Start, ob in der Vorbereitungsphase oder später im Zielbereich.
Wir kommen in den Startbereich und werden sofort von der unfassbaren Stimmung gepackt. Gänsehaut. Es gibt Phänomene im Sport, die man nicht erklären kann. Wie bei den Ghost Busters! Dinge, über die man nicht spricht, weil einem sowieso keiner glauben würde. Ein Beispiel: Man befindet sich kurz vor dem Start eines Wettkampfes in einer solch emotional angreifbaren Lage, dass man sogar bei einem 0815 Techno Song aus den 90ern Tränen in die Augen kriegt…wie gesagt, glaubt einem kein Mensch.
Wir stehen also im Startbereich, versuchen alle nicht vor Freude loszuheulen oder ziehen schon mal die Laufbrillen an, damit niemand die kleine Techno-Träne sieht, von der jeder weiß, aber über die niemand spricht und ***BOOM!*** es geht los. An der Siegessäule vorbei, 42Km durch Berlin. Gleich nach den ersten 4 Kilometern bleiben einige Leute stehen oder fangen ein Stück zu gehen an. Ich denke mir in solchen Situationen immer: „krass, das wird ein langer Tag, hoffentlich schaffen die das!“
Ich bin eigentlich durchgehend geflasht von der Stimmung auf der Strecke, überall Supporter und Stimmungsnester. Leute in Kostümen – von Engeln, über Römer bis hin zu Mr. Hanky ist alles dabei. Wir laufen im Zickzack an Leuten vorbei und bahnen uns unseren Weg durch die riesige Menschenmasse, in die man am Start eingesaugt- und aus der man erst im Ziel wieder ausgespuckt wird. Kurz vor Kilometer 5 hören wir ein lautes Geräusch, das wir nicht wirklich zuordnen können….und dann checken wir es: Verpflegungsstation!!! Da wir im letzten Block gestartet sind, liegen auf der Straße schon dermaßen viele Plastikbecher, dass man nicht drumherum laufen kann, ohne draufzutreten. Wenn tausende Leute auf Plastik rumtrampeln, kann das schon ganz schön laut werden. Krass! Das Geräusch ist noch 500m nach der Station zu hören und wird auch bei allen (15!) anderen genau so laut und lange zu hören sein. Das hatte ich bisher noch bei keinem Wettkampf erlebt.
Und mal ganz davon abgesehen, dass es laut war, wo zur Hölle kommt das ganze Plastik denn dann wohl hin? Dieses Jahr hat Adidas zum ersten Mal die sogenannten Soft-Cups getestet. Wiederverwendbare 10 Gramm leichte Gummibecher, die man während des gesamten Laufes benutzen kann. Stark! Noch besser: Beim Transalpine Run MUSS man als Teilnehmer sogar seinen eigenen Becher mitbringen, damit man an den Verpflegungsstationen überhaupt etwas trinken kann. Generell müssen beim Trailrunning alle Teilnehmer bei Wettkämpfen eigene (soft) Flaschen und Becher mitbringen. Ich finde die Aktion großartig und würde im nächsten Jahr einfach allen Teilnehmern einen solchen Becher, mit einem kurzen Hinweis wie was wo funktioniert, in die Startunterlagen geben. Klar ist auch die Produktion der Soft-Cups mit Sicherheit nicht zu 100% umweltfreundlich, aber wenn man dadurch langfristig eine Anzahl von knapp 1 Million (!!!) Plastik Bechern, bei einem Marathon dieser Größe, um eine drastische Anzahl verringern könnte, wäre das schon enorm. Als Läufer stehe ich voll auf Natur, auf die ruhigen langen Trails im Wald bei guter Luft und reichlich Platz für Gedanken. Wenn jeder einen Soft-Cup hat…freut sich sicher auch die Natur.
Wir laufen weiter, haben einen guten Flow erwischt, reden ein bisschen über dies und das und laufen Kilometer um Kilometer. Der Lauf ist unser Saisonabschluss. Es gibt nix mehr zu beweisen, nur noch zu genießen.
Die Straßen sind für den Lauf gesperrt und breit genug, dass man ab und an auch mal ein wenig nach vorne schauen kann. Es gibt anstatt Cola und Iso mal ein anderes – auf rote Beete, Grüntee und Taurin basierendes – Getränk an der Strecke. Finde ich auch großartig, mal etwas anderes als nur Zucker. Manchmal kommt man sich echt vor, wie eine kleine dicke zuckersüchtige Hummel, die von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation fliegt, um irgend etwas Süßes aufzugabeln. Da kommt was herzhaftes, ein klein wenig bitteres, zwischendurch doch mal ganz gut :).
Und manchmal, kommt er eben und macht einem das Leben schwer, der Mann mit dem Hammer. Wer ist das eigentlich? Und was ist das überhaupt für eine Berufsbezeichnung? „Der Mann mit dem Hammer“?! Thor? Nee! Ganz bestimmt nicht. Der hängt in Asgard ab, warum sollte er stinkigen schwitzigen Läuferinnen und Läufern das Leben schwer machen? Und wer weiß, vielleicht ist es ja auch die Frau mit dem Hammer?! Barbara Salesch! Gleichberechtigung und so :-D! Nee, Quark! Ich mag den Ausdruck einfach nicht.
Der impliziert nämlich, dass irgendjemand oder irgendetwas von außen, einem dermaßen eine reinzimmert, dass man nur noch die Hälfte oder sogar noch weniger, seiner eigenen Leistung abrufen kann. Aber im Endeffekt hat es glaube ich recht wenig mit den äußeren Faktoren zu tun. Eher mit Vorbereitung, Ernährung, Selbsteinschätzung und vor allem mit dem Kopf. Also nennen wir ihn doch einfach: „der Typ ohne Kopf“….ah nee, Christopher Walken, Sleepy Hollow – egal. Passt trotzdem. Der Typ ohne Kopf erwischt uns an diesem Tag jedenfalls nicht so wirklich. Der sieht ja eh nix ..höhöhö. Okay einer zuviel, sorry.
Ich versuche bei Läufen über längere Distanzen und generell in Wettkämpfen immer so optimistisch wie nur irgendwie möglich zu denken. Ich bin ein riesiger Fan von Sportpsychologie und lege mir kleine Bildchen und Gedanken zurecht, die mir im Wettkampf oder in Trainingseinheiten schon mehr als einmal den Tag gerettet haben :).
Beim Marathon sehen meine Gedanken meistens so aus:
– bis zur Halbmarathonmarke wirds mir auf jeden Fall wahnsinnig gut gehen
– ab Kilometer 22 kann ich endlich mal die gewonnene Stärke aus den langen Ausdauerläufen im Training abrufen
– der Typ ohne Kopf kann mir mal richtig hart den Buckel runter rutschen
– Ab Km 38 ist der Rest eh geschenkt!
– den nächsten Pacemaker schnapp ich mir noch …. etc.
Und jetzt der Parade TIPP. Das Ding, das mir immer am meisten hilft, wenn es kritisch wird:
Wenn nix mehr geht (und man noch so 8-10 Km vor sich hat), schnappe ich mir an einer Verpflegungsstation Wasser, gehe ein Stück und stelle mir vor, ich wäre gerade aufgestanden und starte jetzt meinen Trainingslauf. Ich stelle es mir so deutlich vor, dass es sich fast anfühlt, als könnte ich komplett frisch weiter laufen. Klar sind da 1 Mio. Menschen um einen herum und klar tun die Beine weh und klar hat man schon ordentlich was weggelaufen, aber der Kopf kann so wahnsinnig viel bewirken.
Mit dieser Vorstellung konnte ich beim Ironman Lanzarote, nach wirklich sehr sehr harten 180Km auf dem Rad, einen Marathon in 03:49 laufen. Ich bin vom Rad abgestiegen, hab meine Laufschuhe angezogen, bin aufs Klo, Tür zu, Kopf aus. Alle Schmerzen und alle vorangegangen Kilometer „gelöscht“ und konnte fast unbeschwert loslaufen. Das war quasi ein kleiner Hirn-Reboot..auf dem Dixi-Klo :-D. Den Artikel zum Ironman Lanzarote gibt es auch hier auf dem Blog :).
Zurück nach Berlin, zurück zum Marathon:
Wir kommen bei der magischen Grenze an: 36Km (viele sagen die magische Grenze liegt bei 30…find ich aber zu früh…Optimismus und so 😉 ). Ab da ist klar: bald geht es ins Ziel. Wir schauen uns an und wissen, dass es fast vorbei ist. Noch 6.195 KM bis zur Ziellinie. Wir genießen und verfluchen gleichzeitig jeden einzelnen Meter, den wir zurück legen, und sehen plötzlich das Brandenburger Tor. Vor ein paar Stunden sind wir hier mit der Bahn angekommen und waren einfach nur zwei Verrückte mit einer Startnummer. Jetzt sind wir Verrückte mit einem roten Kopf und so viel mehr als nur einer Startnummer. Wir laufen auf den blauen Teppich und sehen unsere Mädels, die uns zuwinken, uns anfeuern und sich mit uns freuen ohne Ende.
Ziel! Boom! Berlin Marathon gefinisht! Was für eine Veranstaltung! Einfach ein großartiger Lauf. Wie beschreibt man das Gefühl danach? Ein bisschen wie nach der letzten wichtigen Prüfung, bei der man aber bei der Abgabe schon weiß: die hab ich im Sack :D! Wie ein Gladiator, der mal eben alle seine Top-Kontrahenten mit links besiegt hat. Wie wenn man morgens aufwacht, die Sonne leicht durch das Fenster scheint und man einfach keine Termine hat. Nicht einen Einzigen. Tut nur bisschen mehr weh :D. Man hat etwas getan, etwas für sich selbst. Man hat mit den eigenen Füßen eine Erinnerung geschaffen, die man nie wieder vergisst. Es bedeutet etwas. Es ist wertvoll. Es macht glücklich und bleibt für immer.
Es wurde, wie anfangs schon erwähnt, ein neuer Weltrekord aufgestellt. Und wir liefen an demselben Tag, auf derselben Strecke, und liefen in dasselbe Ziel. Da kann man schon mal doppelt Gänsehaut bekommen. Doppelt und dreifach. Wir sind überglücklich, schnappen uns unsere Medaillen und gehen in Richtung Ausgang. Nach so einem langen Tag zusammen mit 44.389 Startern (wo war eigentlich Nummer 44.390??) kann man mal etwas Ruhe gut gebrauchen. Also setzen wir uns alle in die Bahn und fahren erstmal nach Hause. Ich beneide manchmal die Leute, die ins Ziel kommen und dort noch super lange bleiben und feiern etc. Ich kann das nicht. Ich muss erstmal nach Hause, duschen, alles im Kopf einigermaßen ordnen und DANN gibt es Gin&Tonic und gutes Essen :-D.
Wir waren hier nicht zum letzten Mal dabei :).