Ein verkehrsberuhigter Bereich an einem unbekannten Ort, Sonntag morgens um 10:00. Radfahrer, Läufer und Wochenendathleten teilen die Straße unter sich wie die Gangs aus Mafia Filmen. Hier herrscht das Gesetz des Stärkeren, Schnelleren oder sogar Lauteren.
Und hier und da entdeckt man auch Menschen, die sich tatsächlich trauen sich auf diesem Weg zu tummeln, ohne sich offensichtlich sportlich zu betätigen. „Warum gehen die nicht lieber in den Wald mit den Kindern?“ „Muss der jetzt da mitten auf dem Weg stehen bleiben“? „Warum sind eigentlich diese Wanderstöcke so lang??“
Beim ersten Aufeinandertreffen sehr beliebt, ein kurzes lautes und bestimmtes „WEG DA!“ oder „ACHTUNG!“ .
Die wohl häufigste Antwort: „Hier ist doch keene Rennstrecke, du Vogel!“
Langsam füllt sich die Straße zunehmend und die Sonne spielt ihr leises Lied von Hitze und gedanklicher Gewaltbereitschaft. Die Fronten verhärten sich.
Wer jetzt immer noch auf der Straße stehen bleibt, um hinten etwas aus dem Kinderwagen zu kramen, wird unweigerlich von fast allen Fahrenden und Laufenden angebrüllt. Die Klingeln an den Rädern wurden abmontiert oder erst gar nicht angebaut. Aero is everything. Die geplante und später hochgeladene Durchschnittsgeschwindigkeit auf STRAVA heiligt die Mittel.
Männer und Frauen älteren Semesters lassen sich auf 9000€ Bianchis lieber etwas die Stirn braun brutzeln, als einen Helm anzuziehen und brettern mit offnen Mündern und ungefüllten Radflaschen bei 32 Grad über den überfüllten Weg: Aero is everything – safety last. „Helme und Verpflegung gabs früher nur im Krieg und ich fahre so lange, bis mir schwindelig wird, das hat Jan Ullrich schließlich auch ab und zu im Training gemacht“.
Die Anzahl der Nicht-Athleten und damit auch eindeutig Nicht-Wegnuzutungsberechtigten auf der Straße steigt.
„Jetzt laufen die in 3er Reihe über die Straße und ich muss ausweichen…..EGOISTEN!“ hallt es auf der einen Seite. „Jetzt fahren die hier so schnell an uns vorbei, wenn uns da einer anfährt…..EGOISTEN!“ hallt es auf der Anderen.
Der Weg ist eindeutig zu voll und bevor die Performance leidet, gehts ab auf die Landstraße nebenan.……Die Landstraße gehört aber nicht irgendwem! Nee nee, hier ist ja wohl klar, wer der Sheriff in Town ist: Alles ab 3,5 Tonnen und im Bestfall getönten Scheiben.
Sheriff: „Jetzt fahren die hier auf der Straße obwohl da ein Radweg ist!“
Vermeintlicher Bösewicht: „Muss der jetzt so nah an mir vorbei fahren?“
Währenddessen werden die Waffen gewählt:
Sheriff: Hupen / ausbremsen / mit Wasser aus der Scheibenwischanlage ansprühen. (Man würde es nicht für möglich halten, aber manche Autofahrer stellen eine von diesen Düsen tatsächlich auch gerne mal so ein, dass sie zur Seite sprühen).
Vermeintlicher Bösewicht: „An der nächsten Ampel aufs Autodach schlagen / Mittelfinger.
Alles im schlimmsten Fall lebensgefährlich und völlig bescheuert. Trotzdem tägliche Praxis. Lösungen sind schier undenkbar.
ABER was würde denn nun passieren, wenn plötzlich ALLE ein wenig mehr aufeinander achten würden. Der Radfahrer auf den Kinderwagen, der Kinderwagenschiebungsberechtigte auf den Radfahrer, der Läufer auf den Radfahrer und Achtung: Autofahrer auf Radfahrer UND Umgekehrt. Das wäre ungefähr so, als hätte man das Budget für den Film Waterworld damals richtig genutzt. Kaum vorstellbar, aber MÖGLICH.
Be more kind….das gilt für alle. Und eigentlich auch schon immer.
Ich brülle keine Spaziergänger oder Kinder an. Ich mache mit dem Rad auf mich aufmerksam und wenn ich mal 3 Sekunden bremsen muss…Herrgott, dann mache ich das gern.
Ich fahre weder mit dem Rad noch mit dem Auto über rote Ampeln. Ich zeige in Zukunft keinem Autofahrer mehr den Mittelfinger (guilty), auch nicht in wirklich bescheuerten Situationen. Im Gegenzug überhole ich Radfahrer (schon immer) entweder garnicht oder nur wenn ganz viel Platz ist und man den nötigen Abstand einhalten kann. Es ist #nichtimmereasy aber ich hoffe, ich schaffe eine Quote von min. 90%. Und ihr so?